Das sogenannte „Thermofenster“ entwickelt sich zu einem zentralen Begriff des Diesel-Abgasskandals. Vereinfacht dargestellt handelt es sich dabei um die Steuerung der Abgasreinigungsanlage in Abhängigkeit von der Außentemperatur. Nach unseren Recherchen regelt Mercedes bei bestimmten Motoren die Abgasrückführung so, dass sie nur in einem Temperaturbereich zwischen 20 °C und 30 °C voll funktionstüchtig ist. Oberhalb und unterhalb dieser Außentemperatur wird die Reinigung der Abgase sukzessive oder vollständig abgeschaltet. NoX wird so in die Luft gepustet, wie vor der Einführung der Abgasnormen (Euro 1-6). Zahlreiche Hersteller, die sich ebenfalls dieses Thermofensters bedienen, argumentieren damit, dass dies notwendig sei, um den Motor zu schützen. In einem vorherigen Beitrag haben wir dargestellt, warum das nicht stimmt und es tatsächlich nicht um den Motorschutz geht, sondern um den Schutz einer ungeeigneten Abgasreinigungsanlage.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in seinem Urteil vom 17.12.2020 (C -693 / 18) geurteilt, dass ein solches Thermofenster rechtswidrig ist. In seiner jüngsten Entscheidung vom 19.01.2021 hat sich der Bundesgerichtshof mit dieser Fragestellung beschäftigt (VI ZR 433 / 19). Dort hielten die Richter fest, dass allein aus der Tatsache, dass es sich um eine rechtswidrige Abschalteinrichtung handele, nicht gefolgert werden könne, dass damit auch der Hersteller gleichzeitig sittenwidrig gehandelt habe. Denn immerhin würden die Fahrzeuge dieser Hersteller – anders als das bei Volkswagen der Fall war – die gleichen Abgasfunktionen auf dem Prüfstand zeigen, wie im tatsächlichen Betrieb. Es handele sich deshalb nicht erkennbar um eine Täuschungshandlung. Der BGH fordert deshalb, dass noch etwas mehr hinzutreten muss, um die besondere Verwerflichkeit des Handelns deutlich zu machen. Ein Indiz für sittenwidriges Verhalten könnte sein, so der Bundesgerichtshof, dass der Hersteller gegenüber der Zulassungsbehörde verschwiegen hat, wie genau die außentemperaturgesteuerte Abschaltung funktioniert. Und genau das ist bei Mercedes passiert. Mercedes hat das Kraftfahrtbundesamt bei der Zulassung der Motoren (OM 651) im Unklaren darüber gelassen, dass über die Außentemperatur eine Abschaltung erfolgt. Es liegt auf der Hand, warum man das getan hat: Wäre man der Auffassung gewesen, dass das rechtmäßig ist, würde kein Grund erkennbar sein, dies zu verschweigen. Verschweigt aber ein Hersteller einen solchen wesentlichen Tatbestand, so ergibt sich daraus ein wichtiges Indiz für die besondere Verwerflichkeit. Darüber hinaus hat Mercedes verschwiegen, dass es gar nicht um den Schutz des Motors geht, sondern um den Schutz der Abgasreinigungsanlage selbst. Auch das hätte Mercedes offenlegen müssen. Genauso liegt es bei den anderen Herstellern, die ein Thermofenster nutzten.
Es gibt nur einen einzigen Grund, warum gegenüber der Zulassungsbehörde ein wesentliches technisches Merkmal verschwiegen wird: Täuschungsabsicht und die Angst davor, mit der Manipulation aufzufliegen. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 19.01.2021 ein ganz gutes Gefühl dafür entwickelt, wo der Fehler liegt. Es ist jetzt die Aufgabe der Instanzgerichte, den diesseitigen Vortrag richtig zu würdigen. Rechtsanwälte Gatermann Simons Lorenz.